Azubis zu mehr Selbständigkeit verhelfen
Einigen Auszubildenden fällt es schwer, eine gewisse Selbstständigkeit zu entwickeln. Die Ausbildungstrainerin Sabine Bleumortier zeigt in ihren Seminaren, wie sich die Situation ändern lässt. Dafür macht sie ihren Teilnehmern zunächst die grundverschiedenen Ursachen für unsicheres Verhalten bewusst.
Manch Jugendlicher sei über- oder unterfordert, ein anderer hingegen schlichtweg unmotiviert. “Die Generation Pampers hat beispielsweise vieles von den Eltern erledigt bekommen, die sie zur Schule gefahren oder ihre Sporttermine organisiert haben. In der Ausbildung ist dann plötzlich alles anders, aber ohne eine anerzogene Selbstständigkeit ist es dann natürlich schwierig”, sagt Bleumortier.
Kommunikation führt zu Klarheit
So kommt es, dass viele Jugendliche in der Berufswelt erstmal mit selbstständiger Arbeit konfrontiert werden – zudem ist ihnen oftmals nicht klar, welche Erwartungen in sie gesetzt werden. “Das führt zu einer Unsicherheit”, sagt Bleumortier. Ein typisches Beispiel aus dem Berufsalltag sei das Läuten des Telefons eines Mitarbeiters: Die Azubis wissen nicht, ob sie den Hörer abnehmen dürfen oder nicht – das muss im Vorhinein klar kommuniziert sein, da das in jedem Betrieb anders geregelt sei. “Die Ausbilder müssen den Auszubildenden zutrauen, dass sie etwas schaffen können und selbstständig machen dürfen – ohne sich zig-mal rückversichern zu müssen. Anspornende Worte bewirken Motivation und Selbstvertrauen”, so Bleumortier. Der Auszubildende würde dadurch zudem bald lernen, welche Aufgaben er selbstständig verrichten darf und welche noch nicht.
Erwartungshaltungen müssen gesetzt sein
Auch die Erwartungen müssten klar formuliert sein, teilweise auch mehrfach ausgesprochen. “Wenn der Werkzeugkasten im Weg liegt oder die Mülltonne raus muss, sollte er das dem Azubi auch genauso mitteilen”, sagt Bleumortier. Erwartungshaltungen nur einmal am ersten Tag zu formulieren sei in der Regel nicht ausreichend. Gerade anfangs würden viel zu viele Informationen auf den Auszubildenden einströmen. In der Ausbildung sind Ergebniskontrollen unerlässlich. Den Auszubildenden jedoch ständig zu kontrollieren, sei kontraproduktiv, warnt Bleumortier. “Ausbilder müssen den Azubi auch selbstständig arbeiten lassen. Dauerhafte Kontrollen einzelner Schritte gehen auf Kosten der Selbstständigkeit des Azubis, da der sich – vielleicht auch unterbewusst – nicht mehr so viele Mühe geben muss”, sagt Bleumortier.
Typgerechtes Anpassen der Aufgaben hilft bei der Einarbeitung
Ein häufiger Fehler sei, dass dem Azubi von Anfang an alle Schritte kleinlich genau vorgegeben werden. Alternativ könne sich der Auszubildende – mit kleinen Hilfestellungen – selbst überlegen, was als Nächstes zu berücksichtigen ist. “Das regt seine Eigeninitiative mehr an, als wenn er von A bis Z vorgegeben bekommt, was er machen muss”, rät Bleumortier.
Rücksicht auf den Charakter des Azubis nehmen
Die Dauer der Einarbeitungs- und Findungsphase ist typabhängig. Gerade bei jüngeren und unerfahrenen Auszubildenden ist es laut Bleumortier wichtig, die Verantwortung langsam zu übertragen und im Laufe der Zeit mehr werden zu lassen. Mit ein wenig Fingerspitzengefühl könne der Chef schnell feststellen, wie weit der Auszubildende nach einigen Wochen gereift ist und inwiefern er Eigeninitiative ergreift. Die Aufgaben müssten dem Azubi und seinem Reifeprozess angepasst werden. Während anfangs noch kleinere Aufgaben wie das Kontrollieren des beladenen Fahrzeugs übertragen werden können, kann der Lehrling später vielleicht schon die komplette Baustellenorganisation übernehmen.
Belohnungsprinzip wirkt als zusätzlicher Anreiz
Den Sinn und Zweck einer Arbeit hervorzuheben, sei immer ein guter Ansatzpunkt. In einigen Betrieben kommt laut Bleumortier zudem erfolgreich ein Belohnungssystem zum Einsatz. Die Auszubildenden erhalten Fleißkarten für erbrachte Leistungen wie das eigenständige Lösen von Aufgaben oder sonstige Erfolge, wenn sie beispielsweise an etwas Bestimmtes gedacht oder schwere Aufgaben erledigt haben. Ab einer bestimmten Anzahl von Fleißkarten erhalten die Auszubildenden dann einen Bonus, wie einen speziellen vom Betrieb finanzierten Schulungskurs oder eine freie Arbeitsstunde. “Bei den mir bekannten Betrieben funktioniert das Belohnungssystem. Skeptisch bin ich allerdings, was nach der Ausbildung geschieht: Da gibt es für erledigte Arbeit keine Fleißkärtchen mehr”, sagt Bleumortier. Das Belohnungsprinzip könne zwar unterstützend wirken, dürfe aber nicht der einzige Weg sein.
Spielvarianten fördern den Eifer
Spielerische Ansätze könnten laut Bleumortier ebenfalls eine Aufmerksamkeitsspanne generieren. Einer schläfrigen Person sei vielleicht gar nicht klar, dass sie schläfrig wirkt – deswegen helfen neben der Kommunikation gegebenenfalls auch unterhaltende Mittel. “Das Kinderspiel ‘Ich sehe was, was du nicht siehst’ gibt es auch in der erwachsenen Variante: Der Ausbilder läuft mit dem Azubi durch die Lagerhalle oder Werkstatt und beide versuchen wettbewerbsmäßig zu bemerken, was noch nicht richtig ist oder an Tätigkeit noch ansteht – so lässt sich Aufmerksamkeit fördern”, sagt Bleumortier.
‘Tipp der Woche’ zur Förderung der Eigenständigkeit
Ein weiteres Beispiel: Der Ausbilder und seine Azubis treffen sich einmal wöchentlich zu einem festgelegten Zeitpunkt in einer Runde zusammen. Jeder Teilnehmer muss den so genannten “Tipp der Woche” mitbringen. “Die Tipps können von überall herstammen und jeglicher Art sein, ob aus der Berufsschule oder dem Betrieb – sie müssen einen Mehrwert für die Kollegen haben. Das Suchen nach Verbesserungsvorschlägen oder Arbeitserleichterungen animiert die jungen Leute, eigenständig nachzudenken”, sagt Bleumortier. Bereits zehn fest in den Arbeitsablauf integrierte Minuten reichen aus, um die Selbstständigkeit anzutreiben, so die Expertin.
Jeder Auszubildende hat einen eigenen Charakter. Aufgrund verschiedener Typen lässt sich dementsprechend nicht jede Hilfestellung bei jedem jungen Menschen gleichermaßen erfolgreich anwenden. Ausbilder sollten in ihrem Betrieb ausprobieren, welche Art der Unterstützung oder Motivation sich für die jungen Nachwuchskräfte am besten eignet.
Dieser Artikel erschien in der DHZ.
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